Das "W"

Sonntag, 30.11.2014

W wie wandern, W wie weltvergessen, W wie wunderbar: das alles erlebt man auf dem "W", auf der Trekkingtour mitten durch den Nationalpark Torres del Paine in Suedchile. Die Form ist tatsaechlich ein W, wir gehen von Ost nach West, also spiegelverkehrt, genaugenommen. Unterwegs trifft man auch Hartgesottene, die das O machen. Kein Witz, der folgende Dialog, abends in einem der Refugios, den einfachen aber schoenen Huetten im Park:

"We arrived today from the Gardner-Pass."

"Wow, then you're doing the O?"

"Yes, and you're doing the W from the east?"

 

Torres del Paine. Uebersetzt "himmelblaue Tuerme", wie drei gewaltige Obelisken, die aus dem Nichts als steinerne Wahrzeichen in die Landschaft ragen. Entstanden sind sie durch unterirdische Magmaeruptionen. Fuer Geologen ist der Park ein reinstes Abenteuerlabor. Ich als geologischer Laie sehe allerdings nur schwarze und weiße Gesteinsschichten innerhalb der Gebirgsketten, wie mit dem Lineal waagerecht voneinander abgegrenzt. Die umgebenden Berge sind das Cuernos-Massiv und der hoechste Berg der Paine Grande. Knapp ueber 3000 Meter ragt er schneebedeckt in die Hoehe.

Je nach W-Abschnitt aendert sich die Landschaft und der Blick. Lenga-Wald, rotbluehende Buesche, bunte Blumen, Calafate-Beerenstraeucher. Es ist Fruehling, und das Ende November! Ein Hingucker sind die tuerkisgruenen Gletscherseen, die der Landschaft etwas Unwirkliches verleihen. Schwimmen ist bei 6 Grad undenkbar. Abends trifft man immer wieder bekannte Gesichter, Wanderer, die das W in die gleiche Richtung laufen. Es ergeben sich spannende Gespraeche. Es wird gecampt oder man hat noch ein Bett ergattern koennen. Die Hochsaison beginnt im Dezember. Erstaunlich, wie viele Leute aus der ganzen Welt hier ans Ende des südamerikanischen Kontinents kommen, um einen Buchstaben zu laufen.

Am ersten Tag an den Torres weht es mit 80 km/h. Aufpassen, dass es einen nicht den Abhang runterpustet, es geht tief hinunter. Nach dem letzten einstuendigen steilen Anstieg sehen wir die drei Tuerme. Sie thronen majestaetisch hinter einem gruenen See und man kann sich nicht sattsehen. Zum Glueck ist es abends bis halb elf hell, dadurch hat man tagsueber Zeit fuer ausgiebige Wanderpausen. An Fluessen, deren Wasser man hier bedenkenlos trinken kann, unter Haengebruecken, auf glattpolierten Steinen mit Blick auf den Nordernskjöld, einen der langgestreckten Seen.

Der letzte Abschnitt fuehrt an den Glaciar Grey. Dieser Gletscher ist nur ein Auslaeufer des riesigen suedpatagonischen Eisfeldes. Der Anblick dieser Eismassen, blau leuchtend, und der abgeschwemmten Eisbloecke, raubt einem schier den Atem. Wir fahren mit einem Boot direkt unter den Gletscher, klettern ueber Felsen und haben ihn dann direkt vor uns. Weit und breit keine Menschen außer unserer Gruppe - sechs Besucher und zwei Guides. Noch nicht einmal Tiere verirren sich in diese abgelegene eisige Gegend.

Fast haette ich es vergessen: es gab Kondore. Mehrzahl! Mehrmals! Die korrekte Blogueberschrift muesste also lauten: Ueber die Zuverlaessigkeit der Andenkondore im Torres del Paine. Ich kann die Kondore verstehen. Der Blick ist vermutlich NOCH spektakulaerer als im Colca-Canyon in Peru.

Cuernos-Massiv Fruehling Unter den drei Tuermen