Hoch hinaus

Mittwoch, 15.10.2014

Wer meint, ich würde hier nur Märchen und Lügengeschichten aufschreiben, irrt sich gewaltig. Ein phantastisches Erlebnis folgt dem nächsten, manchmal kann ich es selbst kaum glauben. Aber es ist alles wahr! Auch, dass ich auf 5100 Metern Höhe war, nämlich zu Füßen des Gipfels des Vulkans Chimborazo. Für alle, die ihn noch kennen, auch Alexander von Humboldt war dort, zwar nicht ganz auf dem Gipfel, aber immerhin knapp drunter. Wenn man bedenkt, dass es 1802 weder Globetrotter noch gefütterte Jacken gab, eine gewaltige Leistung. Aber bestimmt gab es schon Kokatee - und der soll helfen gegen die Höhenkrankheit. Ohne das chemisch und physiologisch zu hinterfragen, war das übrigens auch meine Vorbereitung gegen Schwindel und Übelkeit: eine ordentliche Tasse in der Hütte, kurz bevor es losging. Schmeckt wie Heu. Nach dem einmaligen Versuch kann ich für mich sagen, es hat geholfen. Auch geholfen, jedenfalls gegen Kälte und Wind, haben eine Windjacke, eine warme Daunenjacke (danke, Diana), Mütze und Handschuhe. Und die Gewöhnung an die Höhe über 2500 Meter in den Städten Cuenca und Riobamba. 

Die Tiere dort oben scheinen an die Höhe gut gewöhnt zu sein. Oder sie kauen heimlich Kokablätter. Auf der Hinfahrt haben wir einige Vicuñas gesehen, die kleinen Verwandten der Lamas und Alpacas, von denen es nur 3000 dort gibt. Und an der ersten Hütte gab es eine echte Rarität: ein hungriger Andenschakal kam auf ein paar Meter heran und wollte Frühstück. Sehr beeindruckend.

Bestens präpariert, mit warmem Tee im Bauch, stiefelten wir also los, mit einem ganzen Heer bunter Ameisen - so sah es jedenfalls von unten aus. Allerdings sind Ameisen deutlich schneller. Ich hatte das Gefühl, in Zeitlupe vorwärts zu kommen. Alle paar Meter stehenbleiben, je höher wir kamen, desto dünner wurde die Luft. Wahrscheinlich wird man auch ein bißchen stumpf im Hirn, dadurch kommt man stetig ein Stück weiter, ohne den Sinn oder Unsinn der Aktion zu hinterfragen. 

Wenn ich jetzt behaupten würde, dass wir auf unserem Zielplateau unterhalb des 6310 Meter hohen Gipfels eine tolle Sicht auf eine schneebedeckte Vulkanspitze gehabt hätten, wäre das tatsächlich gelogen. Alles lag in dichtestem Nebel, klarte nur kurz auf und verschwand dann wieder im Nichts. Toll war es aber trotzdem! Statt guter Aussicht gab's immerhin einen Belohnungskeks und viele schöne Fotos.

Hartgesottene (Heidrun? Markus?) hätten sich mit solchem Spaziergang natürlich nicht zufrieden gegeben. Mein schlauer Reiseführer schreibt, der gesamte Aufstieg dauert 12 bis 16 Stunden, Start der Seilschaften am besten kurz nach Mitternacht. Man benötigt sehr viel Erfahrung, Steigeisen, Eispickel und Hammer. Viele Bergsteiger müssen am zweithöchsten Gipfel auf 6270 Metern "schon" umkehren, trotz Globetrotter und warmen Jacken. Herrn Humboldt ist also verziehen, dass er nicht bis zur Spitze gelangte.